27. Mai 2011

Ein Rennen lesen. Aber wie ...?

"Du musst das Rennen lesen können, um Entscheidungen richtig zu treffen!", das lese ich ständig in meiner Radsport-Fachlektüre, diesen Satz höre ich stetig, bei Eurosport-Übertragungen und so manches mal bei meinen Teilnahmen an Jedermann-Rennen oder auch nur bei RTFs dringt er in fremden Gesprächsfetzen zu mir herüber.

"Ein Rennen lesen" - was heißt das überhaupt?

Nun bin ich alles andere als ein Radsport-Profi und schon gar kein Rennrad-Guru, aber bei mittlerweile immerhin 8 Teilnahmen an doch recht rasanten Rennen und der Erfahrung aus etlichen sportlichen Langstreckentouren von Japan bis zu den Rocky Mountains kommt mir doch mit dem einen oder anderen Geistesblitz die Einsicht - und mit ihr zumindest teilweise eine Antwort auf diese Frage.

Und die Antwort ist: Es gibt keine. Jedenfalls keine Eindeutige.

Sich selbst kennen.

Zunächst einmal muss man sich selbst kennen, bevor man sich aufmachen kann, so etwas komplexes wie eine Meute aus hunderten, wenn nicht gar tausenden Radsportlern zu verstehen, die alle das selbe Ziel haben: Erster werden! Eine Meute verstehen zu wollen, die auf so etwas komplexem wie einer Reennrad-Strecke unterwegs ist.

Sich selbst kennen das heißt, um seine generellen Stärken und Schwächen Bescheid zu wissen. Zu wissen, was der Körper kann, wie lange er das kann und was dann kommt.

Mein Körper zum Beispiel ist anscheinend ganz gut auf der Langstrecke. Das aber nur bei mäßiger Belastung. Ich bin recht dünn, drahtig, habe keinerlei Körperfett und deshalb kaum Reserven.

Dagegen scheint mein Körper bei konstanter Höchstbelastung - zum Beispiel am Berg - sehr gut, um nicht zu sagen besser als die meisten anderen, zu funktionieren. Meine Touren durch Portugal, die Rocky Mountains und vor allem die Erfahrungen bei meinem Giro d´Italia haben es ahnen lassen, in einem Bergrennen wie der Göttinger Tour d´Energie kam die Gewissheit.

Wenn man seine Stärken kennt dann kann man im Vorhinein Abschnitte und Punkte eines Rennens identifizieren, an denen man Akzente setzen kann, eine Attacke platzieren oder angreifen will.

Anders herum: Kennt man seine Schwächen, so weiß man, wo man aufzupassen hat.

Die Strecke kennen.

Das A und O bei einer Rennteilnahme ist die Kenntnis der Strecke. Sicher - niemand verlangt, dass man sich wie ein Bobfahrer oder Kunstflieger in stundenlangen autogenen Trainingssitzungen die Strecke Meter um Meter auswendig einprägt, um sie dann zigmal in Yoga-Trance abzufahren, aber man sollte sie sich schon genau anschauen.

Und dies in zweierlei Hinsicht: Von oben kann man sehr gut Gefahrenstellen erkennen. Mittlerweile sind GPS-Tracks oder Strecken als zoombare Google-Maps oder GPSies-Anwendungen eigentlich Standard. Da heißt es dann tatsächlich: Höchste Zoomstufe und die Strecke quasi aus er Heliperspektive abfahren.

Wo sind gefährliche Kurven? Pflastersteinpassagen? Oftmals sieht man erst in der Staellitenperspektive, dass die breite Magistrale dann doch mit Verkehrsinseln gespickt ist oder dass die vermeindlich schnurgerade Sprintstrecke aus königlich-preußischem Pflasterstein besteht. Wissen, das einem unter Umständen den Kopf und den teuren Carbonrahmen retten kann.

Andererseits sollte man sich immer die Höhenprofile anschauen. Für mich mithin die wichtigste Recherchearbeit: Wie lang ist der Anstieg? Wie steil ist er? Alles über 10% und ab 2 km Länge wird einem Großteil des Pelotons sehr weh tun. Und das wiederum ist dann meine Chance - denn es sind diese Anstiege, bei denen man die meiste Zeit gutmachen kann.

Genauso die Abfahrten - wie schnell es bergab geht (und wie gefährlich das dann wird) kann man meist schon sehr gut sehen, wenn man ein Höhenprofil sieht.

Startblock-Roulette

Fast wichtigstes Zünglein an der Waage ist und bleibt die Wahl des Startblocks. Wenn man denn eine Wahl hätte ...

Offt muss ich bei Rennanmeldungen meinen zu erwartenden Schnitt angeben. Da lüge ich dann auch nix zusammen und bin ganz ehrlich. Na, eher staple ich tief. Und dann habe ich den Salat: Velothon - Block F, Tour d´Energie - vorletzter Block. Und so weiter.

Klar, dass hinten vom Veranstalter eher die langsamen Herren platziert werden, damit die schnellen vorne freie Bahn haben. Dumm nur, wenn man dann wider erwarten schneller ist (und das bin ich meistens), denn dann verliert man a) sehr viel Zeit, um sich nach vorne zu arbeiten - Zeit und auch Energie.

Und b) sind die Starken vorn, die einen ziehen könnten, dann meist schon unerreichbar weggefahren.

Und das ist schade. Denn während man zwar immer, egal, von wo man startet, Gruppen findet, die genauso schnell (oder ein bisschen schneller als man selbst) sind, könnte einen eine Gruppe weiter vorn - die ja wiederum noch schneller ist - noch viel mehr "nützen".

So bin ich mir sicher, dass ich mein Velothon-Ergebnis von 3:02 Stunden wesentlich hätte verbessern können, wenn ich statt in F in C gestartet wäre. Ich bin mit einem Schnitt von 38,6 km/h ins Ziel gekommen. Hätte ich nur 1 km/h Schnitt besser abgeschnitten, hätte das eine Zeit von 2:48 Stunden bedeutet - ganze 14 Mintuten schneller nur durch eine schnellere Gruppe!

Was heißt das also? Nicht tiefstapeln bei der Anmeldung! Wir fahren einen 39er Schnitt bei 130 km-Rennen. Basta!

Das richtige Hinterrad finden.

"Noch eine Minute bis zum Start!", rumort es durch das Feld. Alle sind gespannt, es wird zum x-ten Male am Trikot herumgezerrt, sitzen die Schuhe perfekt? Die Garmin Edges und Forerunners im Peloton geben den typischen "Ich bin bereit"-Beep ab und man fühlt die Sekunden herunter ticken - während der Puls langsam von Normalruhe auf Rennfrequenz steigt.

Ein Rennradrennen ist Höchstspannung!

Dann geht es endlich los und nachdem man die ersten ein, zweihundert Meter im stockenden Verkehr zugebracht hat beginnt das Feld langsam, sich in die Länge zu ziehen.
"Nach vorn!" - das ist nun die Devise und wer es clever anstellen will, der wagt sich diesen Kampf nicht allein, sondern schließt Allianzen.

Allianzen mit anderen starken Beinen.
Denn je mehr man sich "ziehen" lassen kann, desto mehr Körner hat man für das letzte Renndrittel oder -viertel, wenn man erfahrungsmegäß eher mal alleine im Wind oder in kleinen Gruppen unterwegs sein wird.

Also: Das richtige Hinterrad finden!

Ich persönlich mache immer drei, vier, fünf Rennfahrer aus, die sich idealerweise schon in einer Gruppe gefunden haben. Das erspart mir den Aufwand, selbst eine "zusammenstellen" zu müssen. Meist halte ich mich links auf, wo ich mich, Positionen hüpfend, langsam beginne nach vorne durchzuarbeiten. Positionen gutmachen, ohne dabei Vollgas zugehen.

Meist ist es in einem Rennrad-Rennen von Anfang an so, dass sich die "langsamen" Beine rechts ansammeln, gerade auf den ersten zehn, zwanzig Kilometern lange, kohärente Schlangen bilden, die man sich windschattenkonsumierend entlang hangeln kann.
Bequem.

Von hinten stürmen dann immer wieder bollernd die ganz Schnellen heran. Nun heißt es Augen auf! Ich besehe mir die Überholenden und entscheide meist aufgrund weniger Details, ob diese eine Gruppe zum Dranhängen ist - oder ich lieber abwarte.

Wieviele Fahrer sind es? Einzelkämpfer sind meist sehr schnell - aber meist auch schnell ausgebrannt. Vielleicht sind es auch Jungs, die gerade "Wut im Bauch" haben und deshalb Vollgas gehen (vielleicht nach einem Sturz?) - keine gute Wahl.

Kommunizieren die Fahrer? Eine Gruppe, in der sich alle fremd sind, kann schwierig werden. Gruppenfahren hat viel mit Verstehen und Vertrauen zu tun. Hier muss sich im Wind abgewechselt werden, hier muss auf Abstände geachtet werden, hier müssen Gefahrenstellen angezeigt und sicher umsteuert werden. In einer Gruppe, die sich gerade erst gefunden hat, ist noch nicht ganz klar, ob das gut funktioniert - eine Gruppe, in der sie kurz miteinander Reden, in der angezeigt wird, kann man davon ausgehen, dass es hier gesittet zugeht: Wichtig, denn wir wollen, sollten wir "aufspringen", 90, 100 Kilometer mit denen verbringen.

Bekommt die Gruppe unser innerliches "Go", gehe ich links raus, hänge mich ganz hinten an und muss einige Umdrehungen hart beschleunigen. Ist man erstmal im Windschatten der neuen Gruppe, kann man kurz entspannen: Man hat es geschafft und ist, wenn man es clever angestellt hat, im D-Zug des Pelotons.

Die Aufholjagd kann beginnen!

Meistens fahre ich in Gruppen von nicht unter 5 Mann. Gerade am Anfang eines Rennens sollte die Gruppe genügend groß sein, dass die Zeit im Windschatten lange genug ist, um sich von den gelegentlichen Einsätzen vorn "im Wind" zu erholen. Ist die Gruppe zu klein, muss man sehr viel öfter in den Wind - und verliert sehr viel schneller seine Kraft.

Gegen Ende eines Rennens, vor allem auf selektiven Strecken, nimmt man dann gern, was man bekommen kann. Die Auswahl wird sehr klein werden. Dann heißt es oftmals, sich mit kleinen Gruppen oder auch nur zu zweit oder zu dritt mit dem wenigen Windschatten zu begnügen, den man bekommen kann.
Umso wichtiger wird die Wahl der Anfangsgruppe werden.

Rechtsüberholer, irre Spurwechseler, Leute, die nicht anzeigen, werden ermahnt oder auch gern angepöbelt - Disziplin ist das A und O im Gruppetto. Ich muss mich darauf verlassen können, dass mir keiner hinten draufknallt, weil er pennt, oder dass ich, wenn ich nur 1 cm hinter dem Rad meines Vordermannes bei 50 durch die Ortschaften brettere, nicht durch ein Schlagloch zu Fall komme.

Schaut Euch Eure Hinterräder genau an - es wird rennentscheidend sein, wen Ihr Euch da ausgesucht habt!

Nach Kurven gibts Saures. Meistens.

Das ist der erste Aha-Effekt, der sich mir nach 2, 3 Rennen einstellte. Und mithin hier ein Tipp an alle Neueinsteiger, die sich viel Arbeit und Schweiß ersparen möchten - es ist der "Ziehharmonika-Effekt" beim Herausbeschleunigen aus Kurven.

Bei Kurven, in die sich das Feld mit relativ hoher Geschwindigkeit hineinbremst, sie relativ langsam durchfährt - also Haarnadel- oder 90-Grad-Kurven, beobachte ich bei jedem Rennen, dass die Jungs das Herausbeschleunigen unverhältnismäßig hart durchführen.

Das liegt natürlich an den führenden Fahrern, die als erste aus der Kurve kommen, denn die haben vor sich freie Bahn und - da sehr langsam unterwegs - den Drang, besonders schnell wieder auf die Rennspeed zu kommen. Also gehen sie aus dem Sattel und treten in die Pedale.

Dahinter entsteht unter dem Eindruck, dass die da vorn sehr schnell wegkommen - man selbst ist ja noch in der langsamen Kurve - dass man abgehangen wird, also geht man auch hart in die Beschleunigung. Und so setzt sich das extrem harte Anfahren bis zum letzten Mann nach hinten hin fort.

Es werden Körner verbrannt, sinnlos, es wird Power vegeudet, ohne Plan. Denn - weiter vorne spielt sich dann folgendes ab: Der Führende, nun seit einigen hundert Metern extrem schnell unterwegs, vielleicht das noch im Wind, wird sich bewusst, dass er zu schnell ist. Er nimmt also raus. Da er hinter sich jemanden im Windschatten hat, saugt der sich schnell heran, und muss auch heraus nehmen.

Wie bei einer Ziehharmonika fährt nun einer nach dem anderen in den fluffigen Haufen wieder hinein. Bereits 200, 300 Meter nach der Kurve sinkt die Speed rapide ab und das Peloton ist wieder zu einer kompakten Masse geworden.

Mit diesem Wissen kann ich nun sehr viel ruhiger in Kurven gehen, bei denen die Differenz zwischen Kurvengeschwindigkeit und Anfangsgeschwindigkeit sehr hoch ist. Ich mache die Beschleunigungsorgien nicht mehr mit - auch wenn mich vielleicht drei, vier Fahrer überholen.

Denn ich weiß, dass ich nur wenige hundert Meter ganz normal wieder im Peloton fahre - wo ich mir die verlorenen Plätze locker wieder erarbeiten kann.

Angenommen, es gibt 10, 15 solcher Kurven in einem Rennen, so wird deutlich, wie viele harte Antritte man sich damit ersparen kann, und wieviel Power man so in petto hat, wenn es wirklich einmal notwendig wird, in einer wirklich wichtigen Rennsituation volle Power anzufahren.
Für Bergflöhe ...


Wie es ist, als starker Rolleur ein längeres Rennen zu bestreiten, kann ich nicht sagen - ich bin nur mittelmäßig gut darin, über lange Distanzen Höchstleistungen zu produzieren. Was mir sehr liegt sind dagegen Berge.

Steigungen ab 7, 8 % und Rampen ab 2.000 Metern Länge sind erfahrungsgemäß die Grenze, ab der eine spürbare Selektion einsetzt: Die Teilnehmer schalten auf die kleinen Blätter, werden merklich langsamer und reduzieren ihren Krafteinsatz in Erwartung der gefürchteten Höhenmeter.

Mehr noch: Meist apathisch, sonderbar abwesend scheinen sich die meisten in der Steigung einzuigeln, konzentrieren sich darauf, ja keine Seitenstechen oder Krämpfe zu bekommen und kurbeln apathisch die Meter herunter. Eine bessere Chance, um Zeit und Platzierungen gut zu machen, bietet sich im Rennen nicht.

Ich schaue mir deshalb ganz genau das Höhenprofil der Rennen an und kalkuliere die Länge der Rampen: Die Tour d´Energie in Göttingen zum Beispiel bot mir genau zwei dieser großen Chancen, und wer meinen Bericht des Rennens gelesen hat der wird wissen, wie gut an diesem Tag meine Taktik gewählt war - zusammen mit einer wirklich tollen Kondition konnte ich hier am ersten Berg eine Menge Positionen gutmachen und am zweiten Berg sogar das teaminterne Duell mit den vor allem im Flachen so starken Fahrern Heiko und Florian gewinnen.

Für den Berg gibt es aber auch einige Regeln: Bei allem Überschwang, gilt es natürlich auch hier, einen Rhythmus zu finden. Kleine Gänge und hohe Frequenzen schonen die Muskeln und beugen einer vorzeitigen Übersäuerung mit Laktat vor.

Ab und zu gehe ich in den Wiegetritt (und schalte hier unter Umständen ein, zwei Gänge hoch) - das schont die Gelenke, bringt andere Muskeln ins Spiel und, in Verbindung mit einer Attacke, kann die "Gegner" am Berg oder lästige "Lutscher" am Hinterrad aus dem Konzept bringen und letztendlich abschütteln.

Wichtig wird es zum Ende des Anstieges: Nach der Kuppe ruhe ich mich nicht aus. Im Gegenteil, da ich noch im "Bergrhythmus" bin, schalte ich, ohne die Trittfrequenz zu verändern, in dem Maße, wie die abnehmende Steigung meinen Tritt erleichtert hoch - die Belastung bleibt also gleich, aber die Geschwindigkeit steigt.

Viele andere, das habe ich beobachtet, kämpfen sich über die Kuppe und lassen dann rollen. Sie beschleunigen also wesentlich langsamer. Wieder werden wertvolle Sekunden bei mir gutgeschrieben.

Je länger der Anstieg, logo, desto länger die Abfahrt. Gerade bei steilen Stücken ist es absolut (lebens-)wichtig, voll da zu sein. Eine falsche Entscheidung, eine Tausendstel nicht richtig aufgepasst und schon segelt man den Abhang hinunter oder reißt womöglich noch andere um.

Deshalb verausgabe ich mich nicht vollends im Anstieg - es muss immer genug Sauerstoff da sein, als dass mein Gehirn mich nicht verlässt.

Kleine Tricks wie nur in der Steigung zu trinken, sind selbstverständlich - auch wenn die Versuchung noch so groß ist, beim gemütlichen Rollen zu trinken: Da gewinne ich lieber ein paar Sekunden und strenge mich beim Trinken an!
Hat man erst einmal den Berg überwunden und die Gegner hinter sich gelassen gilt es, diesen Vorsprung auch zu sichern. Gerade wenn man weiß, dass die Überholten starke Abfahrer und sehr gute Rolleure sind.

Hier gilt es, den richtigen Riecher für Gruppen zu haben: Perfekt ist natürlich, wenn man direkt nach der Abfahrt (die ich lieber alleine mache, da ich nicht noch auf Vorder- oder Nebenmänner achten muss) eine Gruppe erwischt, in deren Windschatten man in der anschließenden Ebene schnell vorankommt, kann man so den Vorsprung konservieren oder ausbauen - mindestens aber diesen so lange sichern, dass man wenigstens noch vor den Gegnern ins Ziel kommt.

Findet man keine Gruppe - wie es mir nach dem Hohen Hagen in Göttingen passiert ist - können auch die größten Vorsprünge allein im Wind dahinschmelzen wie Schokosofteis in der Sonne. Manchmal ist es deshalb klüger, schon in der Abfaht eine Gruppe zu suchen, auch wenn man dadurch etwas langsamer ist - auf die Länge gesehen nutzt einem der Windschattenvorteil in der Ebene später mehr.

In der Windkante.

Entscheidend im Rennen ist natürlich immer der Wind. Wobei das nur in Maßen gilt - denn Wind bekommen sie alle. (Außer in einem Einzelzeitfahren, wo es durchaus sein kann, dass der Erste Gegenwind hat und beim letzten sich die Richtung ändert und der dann mit Rückenwind fährt, aber das kann man eh nicht beeinflussen).

Über das Windschattenfahren muss ich nicht viel sagen: Dass man kreiselt und sich selbstverständlich auch ander Führungsarbeit beteiligen sollte, ist Gesetz. Sich auf der Kraft anderer auszuruhen wird sowieso meist schnell von den hart arbeitenden Mitfahrern geregelt.

Speziell wird es in der Windkante - wie beim Velothon Berlin passiert.

Eine Windkante entsteht bei extremem Seitenwind, der von schräg vorn kommt. Dann staffeln sich die Fahrer diagonal auf, um den Windschatten, der nun sozusagen schräg "weggeblasen" wird, optimal zu nutzen.

Natürlich kann eine solche Staffel nur so breit sein, wie die Fahrbahn - und das ist genau der Punkt. Denn wer hier zu spät kommt, der hat verloren! Da hilft es dann auch nichts, sich noch so nah hinter den Vordermann zu klemmen. Der Wind kommt von der Seite, unerbittlich - und so wird, wer die Staffel verpasst, genauso brutal abgehängt.

Hat man es aber in die Staffel geschafft, so ist es eine Kunst, diese am Leben zu erhalten. Ich habe selbst erst ein einziges Mal eine solche Windstaffel erlebt und diese ist nach 300 Metern wieder zerbrochen - eben weil es so schwer ist, in der Windstaffel zu kreiseln.

Selbst Profis sollen sich schwer tun damit, eine Windstaffel zu organisieren, weshalb für uns Jedermänner vielleicht dieser eine Tipp wichtig wäre: Kommt der Wind hart von vorn heißt es, sich den Vordermann genau zwischen Windrichtung und eigenes Vorderrad zu stellen. In dieser Diagonalen überlebt man wesentlich länger (und kräfteschonender), als es vergeblich genau hinter ihm zu versuchen.

Wetter an sich ...

Nun habe ich das seit Jahren versucht - auch durchaus mit ernsterem Anliegen - aber ich bekomme einfach keinen direkten Draht zu Herrn Petrus. Und nicht erst seitdem Deutschlands Wetterfrosch Nummer eins "offline" ist, scheint sich das Wetter gegen uns Radfahrer zu verbünden: Stetiger Gegenwind, Regenschauer aus der Kalten, Hitze da, wo Kälte angesagt ist, Schneetreiben dort, wo Milde walten sollte.

Und doch: Einige Stunden vor einem Rennen sind gerade mit Hilfe der Regenradar-Websites doch sehr genaue Vorhersagen möglich geworden.

Das Wetter beeinflusst nicht nur die eigene körperliche Leistungsfähigkeit - jeder hat einen Temperaturbereich, in dem er besonders hart arbeiten kann - sondern auch die Psyche. Sicher geht man mit "helleren" Gedanken an den Start, wenn der Himmel über dem Peloton nicht drohend schwarz mit Gewitterwolken verhangen ist - sicher tritt man befreiter, wenn der Wind von hinten kommt.

Gerade mit dem Wind ist das so eine Sache: Ich merke das immer dann, wenn ich im Wind fahre (also auch die Gruppen führe) und wenn ich mich dann abwechsle. Viele Rennradfahrer geben gerade bei Gegenwind umso mehr Gas, je mehr sie das Gefühl haben, gebremst zu werden.

Logisch: Wo man sonst Renntempo 44, 45 km/h drauf hat, und einen die Böen auf 30, vielleicht unter 20 bremsen, da staut sich ordentlich Wut an. Wut, die in ein Gefühl des "Ich muss das aufholen!" umschlägt.

Die Folge: Viele Rennradfahrer wenden überproportional viel Energie auf, um sich gegen den Wind zu stemmen. Wenn man aber weiß, dass man das Achtfache an Kraft braucht, um nur das Doppelte gut zu machen, dann kann man sich vorstellen, was bei harten Gegenwinden passiert: Für nur ein klitzeklein wenig mehr an Speed wenden die Fahrer Massen an Energie auf. Die verbrennen ihre wertvollen Körner, wo es schlauer wäre, lieber etwas langsamer zu fahren und sich dabei Kraft zu sparen.

Wenn man das weiß, hat man nur Vorteile: Erstens, man kann sehr viel beruhigter im Wind stehen und sich seine Kraft souverän einteilen - sollen sie da vorne doch Gas geben. Lange hält das wütende Anfahren gegen Stürme keiner aus. Zum Zweiten kann man sich grinsend an die Gegenwindkollegen heften und ihren Windschatten genießen - Danke für den Extraspeed.

Ich habe auf mittlerweile fast 30.000 Kilometern, die ich intensiv Rad fahre, bei so einigen heftigen Wetterkapriolen, Sturmfahrten und Regen-Etappen eines gelernt: Ruhig bleiben! Auch wenn das Wetter verrückt spielt; wenn man erst einmal auf der Strecke ist, hilft alles aufregen, schnattern, schreien, austicken nichts. Entweder kann man anhalten, sich unterstellen und Mama anrufen oder man zieht es durch. Wallendes Blut hat in Rennsituationen noch nie geholfen - denn gerade wenn äußere Umstände (z.B. nasse Straßen) zu erhöhter Aufmerksamkeit zwingen ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu haben.

Scheiß auf den Regen - da lohnt sich wenigstens die Dusche!

Essen & Trinken.

Das ewige Thema. Wie viel esse ich vorher? Wieviel im Rennen - und warum zur Hölle denken alle, die einen Untenlenker haben, dass ein Teller weichgekochte Nudeln am Vorabend wie ein Upgrade in Startblock A wirken?

Zunächst einmal zur Pasta-Party-Legende: Leute, bitte! Carboloading ist eine Trainingsmethode, die Wochen vor den Rennen beginnt und sehr viel Härte und Disziplin erfordert. Sie erfordert auch, dass man genaue Werte seines Körpers kennt (und damit meine ich nicht die vom Garmin ermittelten Larifari-Kalorienverbrauchs- und Schwellenwerte) und dass man einen ganz genauen Diätplan einhält.

Profis entleeren in sehr schmerzhaften, sehr harten Trainingssitzungen eine Woche vor Beginn des Rennens ihre Kohlenhydratspeicher und trainieren dann leicht - ohne Zufuhr von Kohlenhydraten - bis 2, 3 Tage vor Event weiter. Dabei stellt sich der Körper auf den Mangel ein.

Zwei, drei Tage vor dem Event stopfen sich die Profis dann - ohne weiteres Training - mit Kohlenhydraten voll. Der Körper, denkend, dass dies nur ein kurzes Intermezzo der Mangelzeit ist, legt überproportional viele Speicher an (Glykogen) und diese kann man dann bei der folgenden Extrabelastung im Rennen abrufen.

Ergo: Pastaschaufeln ohne vorherige Schmerzwoche bringt ... Null!

Aber immerhin kann man nette Leute kennenlernen und etwas dem Ritzelgarn der Altgedienten zuhören. Á propos: Pastaparties nach dem Rennen sind der beste Witz ...

Wie ernähre ich mich?

Nun, eigentlich vollkommen normal. Vor dem Rennen am Vorabend gibt es meist Fisch und leichte Kohlenhydrate wie Reis oder Kartoffeln, dazu meist große Salate. Nix also, was dem Magen viel Arbeit macht.

Beim Frühstück esse ich normal, meist ein, zwei Brötchen, davon eines mit deftiger Wurst. Kaffee darf nicht fehlen, das hat aber was mit Sucht zu tun ...

Im Rennen fahre ich - übrigens für mich persönlich mit großem Erfolg - folgende Strategie: Unmittelbar vor dem Start, 5 bis 10 Minuten vor dem Knall, gibt es das erste PowerGel. Ich vertrage Nutrixxion am besten.
In meiner Trikottasche habe ich, abhängig von der Streckenlänge, dann genug Beutelchen, um alle 30 Kilometer ein weiteres Gel zu lutschen. Was ich dann auch tue.

Je nachdem, wie ich mich im Verlauf des Rennens fühle, verzichte ich dann aber auch auf weitere Gels - so geschehen beim Velothon, wo ich von 4 möglichen nur 3 Gels gelutscht habe. Das Letzte war nicht mehr notwendig.

Mit der Flüssigkeit ist es ganz einfach: Ich kann Euch nur einen Tipp geben - nehmt lieber mehr mit, als zu wenig! Es gibt nichts Enttäuschenderes, nichts niederschlagenderes als im Rennen anhalten und nach Wasser betteln zu müssen! Wertvolle Zeit verstreicht, unnötige Pausen können zu Entlastungskrämpfen führen und erschweren ungemein die Wiederaufnahme des Rennens - bei mir geschehen 2010 beim Münsterland.Giro.

Ich nehme für 100 Kilometer 2 Flaschen mit. Alles Saftschorle - bei harten Rennen 2:1-Drinks von High5. Alles darüber hinaus: dritte Flasche in die Rückentasche.

Ihr spart 5 Minuten, wenn nicht mehr, wenn Ihr die Verpflegungsstellen hinter Euch lasst (die sind bei Cyclassics & Co eh wie im Film "Der Superstau") und zudem verwirrt Ihr Euren Körper nicht.

Denn einmal angehalten senkt sogleich den Puls, der Körper geht in Erholungsmodus, die Regeneration wird angefahren - und umso schmerzhafter, schwieriger und verletzungsgefährlicher wird der Wiedereinstieg ins Rennen.

Bananen gehen immer. Riegel finde ich irgendwie nicht so cool.
Meist aber reicht mir bei Rennen die Gel-Drink-Mischung.

Bei RTFs hingegen entscheidet natürlich auch die Ausstattung mit Büffets zwischendrin über eine Teilnahme meinerseits ... denn gerade bei den flachen RTFs hier in Hamburg und Umgebung ist der Verpflegungspunkt ja meist der herausragendste Aspekt.

Der Kopf entscheidet.
Rennrad-Sport, das ist vor allem ein Kopfsport. Nee, ist wirklich so. Mir glaubt das auch immer keinen, vor allem nicht meine Süße, wenn ich gebannt die stundenlang bei Eurosport den Pros zugucke und mich an ihren taktischen Spielchen erfreue und in Höchststimmung gerate, wird einmal eine kluge Attacke gesetzt.

"Die fahren ja nur Rad!", hört man oft. Aber diese Leute sollten sich mal auf einen 20 mm breiten Pneu setzen und mit 70 einen Berg herunterdonnern - wohlwissend, dass sie nur zwei antiqierte Seilzugbremsen vor dem Crash schützen.

Fahrradbeherrschung, Rennübersicht, Obacht im unmittelbaren Umfeld und blitzschnelle Entscheidungen werden über einen Zeitraum von vielen Stunden abgefordert - und das bei mitunter widrigen Wetterumständen!

Extreme Hitze und Trockenheit, schlechteste Straßen oder Regenschauer auf glitschnassen Straßen - dazu ein unruhiges Peloton, die ganzen Anfänger und Hörnchenlenker. Der Kopf ist entscheidend in einem Radrennen!

Vor allem wenn man weiß, dass ein normaler Ottonormalkörper ab 100 Kilometer eigentlich aufgeben möchte. Leise zirpt es dann in der hintersten Ecke des Kopfes, es säuselt eine liebliche Stimme süße Versprechungen, wenn man doch nur jetzt langsamer mache, lass rollen, steigt ab!
Nein, sich dem zu widersetzen, trotzdem sitzen zu bleiben, trotzdem hart in die Pedale zu treten und die Speed nicht zu senken - trotzdem immer wieder in den Wind zu gehen, um die Meute zu ziehen, sich trotz allen Schmerzes im Wiegetritt die nächste, die übernächste und die wiedernächste Welle hinaufzukämpfen - das entscheidet allein der Kopf!

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir unserem Körper viel zu wenig zutrauen. Als ich meine ersten Etappen damals noch mit maaaaximal 100 Kilometer geplant habe - war ich erstaunt, dass ich locker 150 km schaffe. Bis ich irgendwann an zwei hintereinander folgenden Tagen jeweils 240 Kilometer gefahren bin.

16 % Rampen? Und das zwei mal hinter einander? Tut weh? Tut sauweh! Aber es ist machbar.

Es ist so vieles machbar, wenn man nur will.

Aber, das stimmt - es ist das härteste überhaupt, sich konstant zu motivieren. Vor allem, wenn das Knie zirpt, wenn der Arsch brennt, wenn die Motivation nach einem Loch im Schlauch gen Null geht, wenn kalter Regen einem die Kimme in den Radlerhosen hinabläuft, wenn die heiße Sonne das Hirn unterm Helm zum Siedepunkt bringt.

Es ist der Kopf, der befiehlt. Die Beine machen mit. Sie machen alles mit, solange ATP in den Adern fließt - und wenn man genug davon hat (z.B. in Form eines Gels alle 30 km), dann läuft das. Ehrlich! Ihr wollt die Cyclassics zum ersten Mal fahren und nehmt "erstmal zum gucken" die 55 km? Papperlapapp! Fangt mindestens bei den 100 an - nehmt am besten die 150. Wozu warten? Auf was? 55 km bereiten Euch nicht auf das vor, was 155 km zu bieten haben. Entweder Ihr macht es - oder Ihr lasst es.

Es gibt einige mentale Techniken um durchzuhalten.

Eine davon ist, sich vorzustellen wie es sein wird, wenn man ankommt. Ihr stellt Euch einfach vor - in Echtzeit, in Bunt, in jedem Detail - was Ihr machen werdet, was Ihr sagen und tun werdet, wenn das Rennen vorbei ist.

Wird Euch Eure Freundin in die Arme fallen? Was wird sie sagen? Wie wird sie aussehen? Grinst sie? Hat sie dann diese kleinen süßen Grübchen in den Wangen? Könnt Ihr den Duft an ihrem Hals riechen, da, knapp über ihrer Schulter, wo Euch ein paar Haare ihres Zopfes an der Nasenspitze kitzeln?

Jedes Detail ... und schon habt Ihr wieder 2 Kilometer hinter Euch gebracht.

Was werdet Ihr trinken?

10 Kilometer.

Wie wird es im Hotel sein?

15 Kilometer ... oops, schon da. Wo ist sie denn? Ihr Duft, ihre Haare ... ? Ach, erstmal ein Hefe ...

Aber hey - nicht zu sehr ins Träumen geraten, denn mit Euch, um Euch herum fahren noch ein paar Andere und nun stellt Euch diesen Blindflug vor, würden alle in ihren Träumen versinken. Ein solcher Traumtanz kann gut und gerne in einem Massencrash enden.
Probieren geht über Studieren.
Und nun - Lust bekommen? Ist alles halbsoschwer, wie man glaubt. Am besten, Ihr hört auf Euch die klugen Romane der Pseudofachleute (wie ich) durchzulesen. Geht raus! Meldet Euch bei der nächsten RTF an, beim nächsten Rennen - wie wäre es mit den nächsten Cyclassics? Und dann bitte gleich die große Runde - man soll ein Ziel haben!

Keine Angst, wenn Ihr Euch nicht ganz so blöde anstellt, ein paar Grundregeln beachtet und nicht vergesst, dass es trotz Rennsituation immer noch Straßenverkehr ist, kann Euch bis auf eine Menge Spaß und literweise Adrenalin in den Adern eigentlich nichts passieren.

Have fun - Ride safe!

1 Kommentar:

  1. Hallo erstmal und herzlichen Dank für deine grossartigen Schilderungen.
    Ich freue mich auf jede einzelne.
    Liebe Grüsse Jürgen

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