14. März 2011

Puuh, geschafft! Mein Münsterland.Giro 2011.

Das war ja wieder was! Der Giro in Deutschlands Fahrradhauptstadt ist traditionell das letzte Rennen im Kalender des German Cycling Cup und mittlerweile die drittgrößte Rennradveranstaltung Deutschlands - kein Wunder also, dass sich wieder Tausende Sportfreunde bei noch dazu strahlendem Sonnenschein in die Starterlisten eingetragen hatten.


So auch ich - wieder als Teil der Equipe SunClass.

Für dieses Rennen hatten Heiko und ich so etwas wie eine Tour d´Honeur geplant: Ankommen, ja sicher ankommen war das Ziel. Mit mittlerweile 7 Renneinsätzen in den Beinen, noch dazu mit slchen Knallern wie dem Rothaus RiderMan oder den 24 Stunden auf der Nordschleife am Nürburgring waren Spitzenleistungen an diesem freien Montag von Anfang an eher nicht im Fokus unseres Teams.

Wohl eher schon der Auftrag, den fantastischen 22ten Platz, den unser Team in der Gesamtwertung nach dem RiderMan belegt hatte, zu halten - Alle für Kerstin! - war die Devise.


Mit am Start finden sich Flow (den kennt Ihr ja von meiner Tour de France) und Jan, der ein seltenes Gastspiel bei SunClass Radsport in seiner alten Heimat im Münsterland gegeben hat und natürlich Kerstin, die sich schon be Rund um die Nürnberger Altstadt wacker geschlagen hatte.

So rollen wir morgens kurz vor 9 zum Start - bibbernd und frierend. Zwar ist - Gottseidank! - super Wetter angesagt, aber so früh sehen wir davon noch nichts. Eine undurchdringliche, weiße Nebelsuppe trübt die Sicht, klitzekleine Tropfen eiskalten Reif-Wassers schweben in der Luft, setzen sich an die nackten Beine und Arme, stechen wie Nadelspitzen und lassen das Peloton zittern.


Etwas mehr als 800 Fahrer haben sich für die 140 km eingetragen. Unwahrscheinlich, hier als Mann in die punktebringenden Top 200 zu kommen: Aufgrund der immensen Streckenlänge ist der Münsterland.Giro (ähnlich wie die Neuseen.Classics) ein Punktebringer ohne Ende, weshalb die großen, starken Teams mit Ambitionen hier zahlreich und vollständig angetreten sind: Für uns kein Anlass, in den aussichtslosen Kampf zu gehen. Dann lieber für Kerstin die Pace machen.

Wir starten pünktlich und lassen von Anfang an gleich dutzende Rennfahrer an uns vorbei: Kerstin gibt das Tempo vor. Während sich das Feld vorn mit mehr als 45 km/h entfernt, sammeln sich die "Bummler" mit 38/39 km/h Schnitt in einer recht großen Gruppe. Wir mittendrin.


Es ist ein neues, ein ungewohntes Fahren: Vorne Heiko, Flow und ich an der Spitze, hinter uns, in unserer Mitte, im Windschatten, in der sicheren Zone - Kerstin. Vorne wechseln wir öfter die Positionen, die Dynamik im Feld bewirkt, dass ab wir uns und zu zwei, drei Positionen vor Kerstin wiederfinden und uns erst einmal wieder zurück fallen lassen müssen - oder man wird, vor allem wenn man zu sehr nach rechts abdriftet, hinter einem Rennradler aufgehalten, sodass die drei einen überholen. Es ist eine ganz neue Art, ein Rennen zu fahren: Wir pacen nicht, wir bolzen nicht, wir kommen kaum an die Pulsgrenzen.


Es fühlt sich eher wie eine RTF an. Zwar immer noch recht flott - 39er Schnitte in der Ebene ist ja nun alles andere als Bummelspeed - aber wir gehen es gemütlicher an, ans noch im letzten Jahr. Das müssen wir auch, denn ich zähe allein auf den ersten 50 Kilometern zur ersten Bergwertung 5 Stürze - einer davon sah schlimm aus.

Wir sehen auch kaum etwas: Undurchdringlich grau wabert der Nebel um uns herum, kaum weiter als 50 Meter kann man blicken. Am schlimmsten finde ich, dass der Reif auf den Brillengläsern kondensiert und man nach 5 Minuten kaum noch klar sehen kann, was der Vordermann treibt: Brandgefährlich!


SunClass hält sich an der Spitze unseres knapp 50 bis 80 Fahrer großen Feldes, oder sagen wir, knapp dahinter, denn führen wollen wir nicht. Das Windschattengeben für Kerstin klappt super und so entnehme ich kleinen Seitenblicken und Gesprächsfetzen, dass sie super drauf ist: Teamwork ist eben auch psychologisch aufbauend. Ganz anders, als alleine Vollgas zu bolzen. Hier sieht sie immer drei befreundete Trikots vor sich, was zusätzlich anspornt und Sicherheit gibt.


"Wir gehen steil!" - das ist das Motto des, laut eigenen Aussagen des Veranstalters - anspruchsvollsten Giros aller Zeiten. Und so freue ich mich persönlich sehr, als endlich die Berge im Tecklenburger Land in Sicht kommen. Angeblich geht es sogar über die einzigen Serpentinen des Münsterlandes - Cervelover-Territorium!

Und tatsächlich, wir fahren in einen Wald, sehr idyllisch, und sofort geht es bergan. Naja. Der Gradient ist eher als seicht zu bezeichnen, es wird kaum steiler als 8 Prozent, da ich mühelos 21 km/h im Anstieg halten kann schätze ich, dass wir im Mittel nicht steiler als 6 % sind.
Die Anderen freilich haben zu tun: Unsere Gruppe wird sehr langsam.


Ich finde mich auf einmal - unbeabsichtigt - an der Spitze aller Fahrer wieder. Hinten kurbeln sie längst schon auf dem größten Ritzel. Mit mir gehen zwei andere Fahrer - ein schwarzer Canyon-Rider und ein Cervélo-Fahrer - abenfalls an die Spitze. Wir bilden ein Bergtrio. Als einer von uns Gas gibt, ziehen die anderen nach. Wir wissen zwar, dass die Bergwertung längst schon entschieden ist, und trotzdem treten wir, als gehe es um Punkte.
Den Cervélo-Mann hänge ich locker ab. Den Canyon-Fahrer schnappe ich mir kurz vor der Kuppe. Sieger Bergwertung!

Bei der Abfahrt lasse ich mir Zeit. Nach und nach schießen Rennradler an mir vorbei, die die Abfahrt nutzen wollen, um sich von unserer Gruppe abzusetzen - warum auch immer, denn wir sind so langsam unterwegs, dass sie als Ausreißer, selbst wenn sie eine schnelle Gruppe von 10, 15 Mann zusammenbekommen - keine Chance haben, die vor uns Fahrenden einzuholen. Egal.

Am Fuß der Abfahrt reihe ich mich wieder bei Kerstin und den Jungs ein, das nächste Flachstück meistern wir wieder zusammen.
Da geschieht etwas ungewöhnliches: Die stärksten unserer Gruppe scheinen ausgerissen zu sein, sodass sich das Team SunClass immer wieder an der Front der Gruppe wiederfindet. Ein ums andere Mal führen Flow und ich das Feld an - obwohl wir gar keine Führungsarbeit machen wollen. Aber hinter uns sammeln sich die anderen Fahrer, warten ab - die geschlossene Front der SunClass-Trikots vorn scheint zu signalisieren, dass wir die Anführer sind.


Ein weiterer Anstieg rettet uns vor noch mehr Kilometern im Wind.

Wieder das selbe Spiel: Das Feld verlangsamt sich, Canyon-Mann und Cervélo-Fahrer gehen raus, zu dritt stemmen wir uns die Steigung hoch. Diese ist kürzer, aber dafür steiler als die erste. Wieder gewinne ich (wie auch bei den folgenden 2 Steigungen). Ein tolles Gefühl - einfach aus der Gruppe rausfahren und die anderen am Berg stehen lassen. Und dabei muss ich mich nicht einmal anstrengen.

Das ist wahrscheinlich der Unterschied zu einer Gruppe, die vorne Tempo bolzt und einer Tour d´Honeur-Gruppe, wie der unsrigen ...
Na, wenigstens kommt nun die Sonne stärker durch - es beginnt sogar warm zu werden.


Immer wieder trennen sich Trauben von 5 bis 10 Fahrern auf den folgenden Abfahrten ab, sodass unsere einst große Gruppe immer mehr gerupft wird. Am Ende der letzten Steigung passiert es dann - wir werden getrennt. Und alles beginnt mit einem Kommunikationsfehler.

Die Strecke führt zunächst über sehr schmale Landwirtschafts-Straßen. Das Feld wird also langgezogen, nur 3, maximal 4 Fahrer passen nebeneinander. Die Strecke ist sehr kurvenreich: Abruptes Bremsen und beinhartes Beschleunigen sorgen immer wieder für den gefürchteten Zieharmonika-Effekt. Es zieht zudem auch massig Körner aus den Beinen.


Nach der gefühlt 30gsten Beschleunigungs-Orgie zerreißt es dann das Feld: Ich bin kurz hinter Kerstin, als sie uns vorne davon fahren.

Heiko, in der Annahme, dass wir in seinem Windschatten sind, beginnt, das Loch zuzufahren. Leider geht es nun stur geradeaus, sodass man nicht auf eine weitere Kurve (wo sie alle bremsen müssen) hoffen kann. Heiko strampelt sich ab, das sieht man an den Bewegungen seines Körpers - das Loch kann er zufahren. Nur eben, dass ihm keiner folgen konnte.

In der Zwischenzeit konnte ich mich nach außen durcharbeiten, setze mich neben Kerstin und bedeute ihr, mir zu folgen. Das Loch zwischen unserer und Heikos Gruppe ist 50, vielleicht 60 Meter groß.

Ich gebe Gas.

Das muss ich auch, denn vorne haben sie irgendwie ein irre Tempo angeschlagen, zudem, jeder, der schon einmal ein Loch zugefahren hat weiß, wie sehr das in die Beine geht: Man ist ganz allein ganz vorn und zieht förmlich alle anderen durch den Wind.
Wind gibt es zudem auch noch - schön böig von der Seite.

Ich lege mich richtig rein, reiße wie wild am Lenker - schaue nur kurz nach hinten, sehe ein Vorderrad, alles klar - Kerstin! - und beiße mich ran. Meter um Meter gewinne ich Anschluss, viel zu langsam, wie ich finde, langsam sackt Laktat in die Beine, die Lunge brennt, die Zunge hängt trocken aus dem Mund. Noch 10 Meter. Los! Beißen! 5 Meter, ah, endlich! Eine Kurve, sie bremsen leicht ab - ich bin dran. Ein Rennrad überholt mich, rein in den schützenden Windschatten der Gruppe, es ist Kerst... ist es nicht!
Ich schaue mich um - weit, weit hinten, 150, 200 Meter entfernt - Kerstin!

Ach Scheiße!, danke ich und fluche. Da dachte ich die ganze Zeit, ich würde heroisch Kerstin ans Feld ranfahren, dabei ziehe ich jemand Fremden, der sich nicht einmal bedankt und schon im anonymen Feld verschwindet - und unsere Kerstin weit abgeschlagen hinten.

Ich bin leer, kann nicht mehr. Auch ich tauche erstmal in die Gruppe - weiter vorn sehe ich Heiko. Ich setze mich genau in die Mitte - in die "rote Zone" - wo allerdings der Windschatten am stärksten ist, ich mich mitziehen lassen kann, mich kurz ausruhen kann, Luft holen kann ...

Wir kommen durch einen größeren Ort - der Name interessiert mich nicht, mein leeres Hirn kann nur noch Treten und Lenken koordinieren - und die Straße wird besser, breiter - das Feld beschleunigt. Oh man, das wird jetzt richtig krass!, denke ich und zwinge mich, mitzugehen.
Vorn weiterhin Heiko, der auch seine liebe Not mit dem Tempo zu haben scheint.

Was wir nicht wissen: Hinten muss Flow Kerstin nun allein durch den Wind ziehen, da sich die zweite, hintere Hälfte des Feldes nach der Trennung zersplittert hatte. Florian zieht eine Gruppe von drei Damen durch den Wind, 10, 15 Kilometer fährt er so allein - verschießt alles Pulver, das er hatte, und er hatte eher wenig davon, da ihn noch bis 2 Tage vor Start des Rennens ein Magen-Darm-Virus mit allem Pipapo geplagt hatte.


Irgendwann, es wird langsam wieder ruhiger, brüllt Heiko zu mir herüber: "Wo sind die beiden?". Ich antworte: "Ganz weit hinten anscheinend ... Abgeschlagen!"
Mehr kann ich ja auch nicht sagen.
Heiko lässt sich zurück fallen, wartet 5 Minuten bis er das Vierer-Gespann abpasst. Heiko, Flow und Kerstin werden zu dritt die Ziellinie überqueren.


"Warum hast Du Dich nicht auch zurück fallen lassen?!", werde ich - zurecht - von Heiko und Flow nach dem Rennen kritisiert. "Ich dachte, wir fahren alle für Kerstin?!"
Vorwürfe in den Augen treffen mich. Sehr unangenehm.


Recht haben sie. Ich bin nicht auch zurück, obwohl ich es gekonnt hätte. Bin in der Sicherheit meiner Gruppe geblieben, habe mich im Windschatten die letzten - wirklich richtig schlimmen, weh tuenden - 40 Kilometer bis Münster mittragen lassen. Tja, warum?

Ich war einfach leer.

Eine Entscheidung zwischen Ankommen oder Nicht-Ankommen. Klar, ich hätte mich zu Kerstins Gruppe zurück fallen lassen können. Aber um das was zu tun? Führung im Wind? No way! Ich war dicht. Die letzten 20 Kilometer plagen mich Rückenschmerzen, der Hintern scheint zu glühen - an Gas geben, an Führungsarbeit ist nicht mehr zu denken.

Ich hätte bei Kerstins Gruppe eh nur im Windschatten lutschen können. Es hätte ihr und den Jungs nicht geholfen.

Sie schauen mich einige Minuten beim Nudelessen nach dem Rennen sauer an. Aber dann verstehen sie mich.

Der Witz an der Sache ist: Wenn es anstelle des Unbekannten Kerstin in meinem Windschatten gewesen wäre, als ich das Loch zugefahren hätte, wäre ich der Held gewesen: Denn meine Gruppe kommt mit 8 Minuten Vorsprung vor Kerstin ins Ziel. 8 Minuten, das wäre anstelle Platz 12 ein fantastischer Platz 6 gewesen!

Tja. So kommts.

Schwamm drüber: Die Equipe macht viele wertvolle Punkte und kann den Schaden begrenzen. Zwar rutscht SunClass von Platz 22 ab - aber nur um einen einzigen Rang auf die 23. Und wenn man bedenkt, dass wir Anfang des Jahres die Top 50 als Erfolgsziel ausgegeben hatten, dann ist die 23 eine saugute Platzierung!

Und wie cool ist das bitte? In unserem Hotel steigen das Team Thüringer Energie und nsp ab. Und wen sehe ich? DEN Wolfgang Lötzsch! Ihm die Hände schütteln, das traue ich mir - um ein Foto zu bitten, das ist mir irgendwie peinlich. So muss der Transporter herhalten.
Münsterland.Giro 2011 - wieder eine tolle, eine harte Erfahrung!

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